Man redet wieder über Politik. Nicht nur im Fernsehen, sondern auch auf der Straße. Am 9. November demonstrierten 4 000 Menschen gegen eine rot-rot-grüne Koalition. Über die Fragen des Bundespräsidenten an »Die Linke«, ob sie sich denn schon genügend von der SED-Politik distanziert hätte, wird heftig diskutiert. Die Andacht Bodo Ramelows in der Kirchenzeitung erzeugt Pro und Kontra in der Zeitung und im Internet.
Gut so. Die politische Diskussion ist wieder an der Basis angekommen. Vor der Landtagswahl in Thüringen schien sich nur ein Teil der Bürger um die Zukunft des Freistaates wirklich Gedanken zu machen und sich nicht über die Folgen ihres Wahlverhaltens oder besser Nichtwahlverhaltens im Klaren zu sein. Nur knapp über 50 Prozent Urnengänger, in manchen Orten sehr viel weniger, hat in Thüringen ein politisches Patt erzeugt. Das Erschrecken scheint nun groß. Aber es rüttelt wach.
Vor 25 Jahren sind wir unter anderem für freie Wahlen auf die Straßen gegangen und für eine offene gesellschaftliche Diskussion ohne Tabus. Es ist gut, dass ein solcher Streit in einer Demokratie geführt werden kann. Es ist gut, wenn Menschen danach fragen, welche Ziele die Nachfolgepartei der SED hat, aber auch welche Politik die anderen verfolgen.
Fragen muss sich jedoch auch jeder, der nicht zur Wahl gegangen ist, wem er denn damit geholfen hat. Denn eins liegt auf der Hand: Wer nicht wählt, unterstützt jene, von denen er auf keinen Fall regiert werden will. Der Realität müssen wir nun ins Auge sehen und sollten als Christen dabei nicht vergessen, dass Frieden nur werden kann, wenn ich mit meinem Gegner rede, ihn auf Augenhöhe wahrnehme und akzeptiere. Jesus hat es uns gezeigt, dass das Gespräch möglich ist – ob mit der Samariterin, ob mit dem Betrüger Zachäus oder mit dem römischen Hauptmann. Er hat sich nicht gescheut, gegen Konventionen zu handeln – um der Menschen und um Gottes Frieden willen – und damit die Welt verändert.
Dietlind Steinhöfel