Geschichte: 25 Jahre friedliche Revolution – wie protestantisch war sie?
Die Rolle der evangelischen Kirche in der friedlichen Revolution wird von Historikern unterschiedlich gesehen.
Als »Basislager der friedlichen Revolution« beschreibt Werner Schulz die evangelische Kirche im Rückblick. Zu DDR-Zeiten hat er selbst in dieser Kirche Mitstreiter und Gleichgesinnte gefunden – Menschen, die sich der Dominanz der SED entziehen wollten und Freiräume suchten. Werner Schulz, der aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings bereits in den späten sechziger Jahren zu opponieren begann, der im Pankower Friedenskreis, später im Neuen Forum und dem Bündnis 90 engagiert war und bis 2013 die Bündnisgrünen im Europa-Parlament vertrat, will das Verdienst der Kirchen nicht geschmälert wissen. So bot das Dach der Kirche nicht nur Schutz, sondern unter diesem Dach erfuhren auch zahlreiche Nichtgläubige eine christlich begründete Ermutigung für ihr Engagement. Die friedliche Revolution sei für ihn durchaus eine »protestantische Revolution« gewesen – beeinflusst von theologischen Argumenten und couragierten Pfarrerinnen und Pastoren.
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Menschen in Leipzig gedenken der friedlichen Revolution. Foto: epd-Bild/Jens Schlüter
Historisch verbürgt ist der Anteil, den evangelische Christen zum Ende der DDR an der Protestbewegung hatten. Ob Marianne Birthler oder Ulrike Poppe, die Pfarrer Rainer Eppelmann oder Markus Meckel, der unter anderem von 1988 bs 1990 die Ökumenische Begegnungs- und Bildungsstätte in Niederndodeleben bei Magdeburg leitete, die Künstler Freya Klier und Stephan Krawczyk oder die in Sondershausen geborene Vera Lengsfeld. Wer nach dem Ende der DDR zu »den Bürgerrechtlern« zählte, dessen Geschichte war mit der Kirche verbunden. Inwieweit aber 1989 eine protestantische Revolution zum Mauerfall führte, darüber sind Geschichtswissenschaftler unterschiedlicher Meinung.
Der Historiker Thomas Großbölting von der Universität Münster beispielsweise warnt vor Überhöhung und Legendenbildung. Doch auch er erkennt die Rolle der evangelischen Landeskirchen beim Vorlauf zum Herbst 1989 an. Gleichwohl – nicht alle Landeskirchen pflegten gleichermaßen einen SED-kritischen Geist, und nicht in allen Leitungsetagen war die Opposition willkommen. Kirchenleitende Gremien bemühten sich zumeist um möglichst konfliktfreie, loyale Beziehungen zum SED-Staat – nicht zuletzt, um den schmalen Freiraum innerhalb der DDR nicht zu gefährden. Auch in den Gemeinden stießen Nonkonformisten und Andersdenkende nicht überall auf ungeteilte Zustimmung.
Längst belegt ist zudem, dass auch in den Reihen der Kirche auf allen Ebenen Verrat geübt wurde. Die Staatssicherheit legte ein aktives Netz von Inoffiziellen Mitarbeitern und Zuträgern aus – von der subtilen Beeinflussung bis zu brutalen Methoden wandte der Geheimdienst alle Mittel an, um der Opposition die Luft zum Atmen zu nehmen.
Dennoch – im Biotop der Kirchen trafen sich Friedens- und Umweltgruppen, in kirchlichen Räumen konnten kritische Texte veröffentlicht und diskutiert werden. Aus der realsozialistischen Mehrheitsgesellschaft Ausgegrenzte wie Bausoldaten und Ausreisewillige erfuhren in kirchlichen Einrichtungen Solidarität, es gab Orte freien Denkens, Protest gegen den Wehrkundeunterricht und Forderungen nach freien Wahlen. Originär protestantisch ist daran wohl vor allem die Unbeugsamkeit der Protagonisten von damals, die sich nicht als Helden feiern, aber weiter aufrecht gehen. Und die man, so Werner Schulz, daran erkennt, dass sie keine Helden sein wollten.
Jacqueline Boysen
Die Autorin ist Studienleiterin der Evangelischen Akademie Berlin.