Im Porträt: Gottfried Müller, der langjährige Chefredakteur von »Glaube und Heimat«, vollendet sein 80. Lebensjahr
Am 16. August wird der promovierte Theologe, Journalist und Autor 80 Jahre alt. Er hatte in seinen Artikeln und vor allem den Kommentaren für die Kirchenzeitung ein Gespür für die richtigen Worte.
Die Szene ist lebhaft in Erinnerung geblieben: Im September 1989 sitzt der damalige Chefredakteur der Thüringer Kirchenzeitung »Glaube und Heimat«, Gottfried Müller, etwas unruhig vor den zur Synode des DDR-Kirchenbundes angereisten Medienvertretern aus Ost und West. Sein Anliegen ist ein »Brief aus Weimar«, den er zusammen mit drei Mitstreitern in der eigens einberufenen Pressekonferenz vorstellen will. Gottfried Müllers Anspannung hatte gute Gründe. Denn der »Brief« kam einer Palastrevolte in der damaligen DDR-CDU gleich. Statt sich als »Blockpartei« auch weiterhin dem ausweglosen Kurs der greisen SED-Führung zu unterwerfen, sollten die DDR-Christdemokraten, so das Anliegen der vier Briefeschreiber, sich in die Spitze der Reformkräfte einreihen. Nur wenige Wochen später musste Parteichef Gerald Götting, der sich vom starrsinnigen Erich Honecker kaum unterschied, seinen Hut nehmen – nicht ohne zuvor versucht zu haben, die Weimarer Briefeschreiber aus der Partei auszuschließen.
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Gottfried Müller zum Jubiläum der Kirchenzeitung im Mai 2014. Neun Jahre war er ihr Chefredakteur. Foto: Maik Schuck
Sein Nachfolger wurde der Ost-Berliner Anwalt Lothar de Maizière, der im Frühjahr 1990 erster freigewählter Regierungschef der DDR wurde. Mit am Kabinettstisch saß Gottfried Müller, der mit seiner Briefinitiative den Wechsel in der Parteispitze erst möglich gemacht hatte. Dabei gehörten politische Ämter gar nicht zu den Ambitionen des promovierten Theologen. 1972 war er zwar der DDR-CDU beigetreten, hatte sich aber bis zu seinem Eisenacher Auftritt parteipolitisch eher passiv verhalten. Für seine politischen Anliegen nutzte er – spätestens ab Anfang der 1980er Jahre – andere Wege: vor allem die kirchliche Publizistik. Nach seinem Theologiestudium in Leipzig und Jena war er zunächst als Gemeinde- später als Studentenpfarrer tätig, 1972 wechselte er zur Altenburger Bibelanstalt. 1981 ging er nach Weimar, wo er bis 1989 als Chefredakteur die Wochenzeitung »Glaube und Heimat« leitete.
Was er in diesen Jahren allein an Kommentaren geschrieben hat, nötigt schon großen Respekt ab. Bemerkenswert ist aber nicht nur die große Zahl, sondern vor allem die Tatsache, wie er mit bewunderungswürdigem Geschick so ziemlich alles zur Sprache brachte, was Menschen in der DDR zu schaffen machte: die begrenzten Reisemöglichkeiten und die einseitige Berichterstattung in den SED-gelenkten DDR-Medien, die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und die zunehmenden Umweltprobleme, die Benachteiligung junger Christen im DDR-Bildungswesen, die zunehmende Fremdenfeindlichkeit oder die publizistischen Halbwahrheiten in der DDR-Presse.
Dass er damit in besonderer Weise den Argwohn der SED und ihres allgegenwärtigen Staatssicherheitsdienstes erregte, kann nicht verwundern. Doch im Unterschied zu der Situation Ende September in Eisenach hat Gottfried Müller in all den Jahren zumeist große Gelassenheit und innere Ruhe ausgestrahlt. Er konnte freundlich streiten und sich friedlich dem Widerspruch stellen. Das ist ihm vor allem Ende der 1980er Jahre zugutegekommen, als kaum eine Woche verging, in der er nicht mit staatlichen Zensureingriffen zu kämpfen hatte. Geholfen hat es ihm zweifellos auch, als er zur Stasi-Mitarbeit gedrängt wurde und darauf unmissverständlich mit dem Hinweis reagierte, dass er dazu nicht bereit sei.
Ebenso in seinen politischen Ämtern nach der Friedlichen Revolution hat sich Gottfried Müller nicht verbiegen lassen – weder als Medienminister noch als Präsident des Thüringer Landtags oder als Präsident der Erfurter Kirchen- und Klosterkammer. Dass er in diesen Jahren für seine Ziele kämpfen musste, liegt nahe. Zugutegekommen sind ihm dabei sein herzlicher Humor und seine heitere Gelassenheit, die ihm aber auch im Ruhestand, wie er sagt, als »fröhlichem Rentner« nicht abhandengekommen sind.
Hans-Jürgen Röder
Der Journalist Hans-Jürgen Röder arbeitete seit 1979 als DDR-Korrespondent für den Evangelischen Pressedienst (epd) und war nach 1989 über 20 Jahre Leiter des von ihm 1990 gegründeten Landesdienstes Ost des epd.